Frühlingsnacht - 鏡 [Spiegel]


Da stand er; eine Marionette. Er war so, wie sie sich ihn immer wünschte. Und wie er nie hätte sein sollen. 

 

Ich sah ihn an, starr, ohne jegliche Bewegung, und hoffte, in einem Traum zu sein, in einem schrecklichen Albtraum, der mir meine Luft wegzunehmen drohte. Plötzlich erstrahlte ein Licht, das so makellos und hell war, dass es alles verschluckte. Es war schmerzhaft, doch ich konnte nicht aufhören, hineinzusehen. Zero war nun nicht mehr als eine Silhouette, die ich vergessen musste. 

 

"Gib nicht auf!", hörte ich eine Stimme aus dem Himmel rufen, und einen Augenblick später verschwand die Welt und ich wachte auf. Meine Seele brannte.

 

Ich war in meinem Zimmer und merkte schon beim Aufwachen, dass ich schweißnass war und unangenehm riechen musste. Als ich es schließlich geschafft hatte, meine Augen zu öffnen, konnte ich nur mit Mühen eine unklar definierte Person vor mir erkennen. Die Stimme - allerdings - verriet mir, dass es Yuki sein musste.

 

"Geht es dir gut, Kyoko?", fragte sie besorgt und ich setzte mich schmerzerfüllt, aber entschlossen auf. "Bleib liegen!".

 

"Nein, mir geht es schon viel besser.", sagte ich mit einem Zittern in der Stimme. Der Schmerz war unglaublich stark, ich fühlte mich wie in Flammen stehend. Meine Seele brannte.


Yuki legte ihre Hand auf meine Schulter und ich merkte, wie der Schmerz langsam zurückging und meine Atmung sich beruhigte. "Danke."

 

Einige Minuten später stand ich wieder vollkommen auf den Beinen und schaute aus dem Fenster. Die Nacht brach an und, da heute der Vampirball stattfand, rannte ich unverzüglich ins Badezimmer, um mich endlich fertigmachen zu können. Ich sah in einen Spiegel.

Meine langen, silbernen Haare und meine blasse Haut standen im Kontrast zu meinen dunkel-lila gefärbten Augen. Während ich meine Haare mit etwas Magie aufhübschte, bemerkte ich eine Person, die im Spiegel hinter mir zu stehen schien. Ich drehte mich ruckartig um, konnte jedoch nichts erblicken. Irritiert wandte ich mich wieder meiner Arbeit zu und ignorierte die Figur, die immer noch im Spiegel stand und mich beobachtete.

Weitere Augenblicke vergingen und plötzlich hörte ich mich selbst schreien: "Wer bist du und was willst du? Verschwinde hier!".

 

"Was ist los?", unterbrach Yuki mein Geschrei.

"Sieh hinein!", sagte ich, doch als ich wieder in den Spiegel sah, konnte ich nur Yuki und mich erblicken.

Einige kurze Ewigkeit später sah ich - sichtlich verärgert - in meine eigenen Augen, die unser Spiegelbild wie ein kleiner glänzender Spiegel millionenfach reflektierten. So sah ich uns immer kleiner werdend im ewigen Horizont meiner Augen.


"Du bist wunderschön.", bemerkte Yuki nach Sekunden, die sich wie Stunden anfühlten. "Danke."

 

 

Nun war die Sonne vollständig verschwunden.

"Es steht dir sehr gut.", bewunderte Yuki mein langes Kleid. Es war apricot, eher blass als gesättigt, aber es passte gut zu mir. Ich vergaß meine Albträume und die rätselhafte Figur im Spiegel und lächelte.


Es klopfte an der Tür und ich öffnete sie. Es war Ichijo Takuma, mein Freund.
"Takuma!", stürmte Yuki zu uns. "Nimm sie mit! Ich wünsche euch beiden einen schönen Abend. Genießt den Ball und trinkt ein Glas Sekt für mich mit." 

"Du gehst schön mit!", rief ich ihr ins Gesicht. "Du hast mich gezwungen, also gehst du mit!"

 

"Ich habe mich nicht darauf vorbereitet; es geht nicht.", schaute sie beschämt. - Sie wusste, dass ich sie nicht im Stich lassen konnte.

Ein Klavier - genauer gesagt das Echo eines Klaviers - ertönte und plötzlich stand Yuki perfekt gekleidet vor uns.

"Unverschämte Magie...", wisperte sie leise. "Gehen wir."

 

Takuma lächelte, so wie er immer lächelte, wenn ich ihn sah. Ich wusste, dass er mich die ganze Zeit über betrachtete, doch ich ging unbeirrt weiter. 

 

Die Violinen wurden lauter und das Piano balancierte die Noten langsam zu unseren Ohren; es war wie der Duft von Blumen in einer wunderschönen Frühlingsnacht. Ich fühlte mich so leicht und schien zum Ballsaal hinüber zu schweben. 


"Kyoko? Hast du mir überhaupt zugehört?", Takuma lachte und ich errötete. "Natürlich nicht, Dummkopf."

Endlich betraten wir den Ballsaal. Überall befanden sich Kerzen und in der Mitte des Raumes hing ein gedämmter Kronleuchter.

An den Seiten standen Tische und vorne rechts ein langes Bankett mit einem Büffet und natürlich Wein.

In der Luft schwebten Violinen und spielten die schönsten Melodien, die Menschen und Vampire je würden hören können. 

Es war perfekt.

 

Takuma nahm meine Hand und stellte sich vor mich. "Darf ich Euch zum Tanzen auffordern, Madame?", fragte er lächelnd.

"Was habe ich dir über das Fragen gesagt, Taku-", doch bevor ich aussprechen konnte, schaute er ernster und sagte, "Du tanzt mit mir!", und zog mich näher an sich heran. 
"Ja ...", war alles, was ich dazu sagen konnte. Ich schaute zu Yuki, die mir nur zuzwinkerte und zu ihrem Freund, Kuran Kaname, ging, um schließlich mit ihm im Hinterhof zu verschwinden. 
Der Tanz fühlte sich unglaublich toll an und Takuma sah mir durchgehend in die Augen ohne sein Lächeln zu verlieren. Er war ein begnadeter Tänzer, ein Spitzentänzer, der wusste wie er eine Frau zu umgarnen hatte. 

Eine Stunde später begaben wir uns in den Hinterhof, in dem einige Senatoren saßen und aktuelle politische Themen austauschten.
"Mh... Diese Bluttabletten sind ungenießbar. Was gäbe ich für ein Glas frisches Blut.", amüsierte sich eine blonde Frau mit glänzenden Haaren. Es war Shirabuki Sara, eine Reinblüterin.  

"Ah, Takuma, mein treuer Gefährte.", bemerkte sie mit einem bitteren Unterton, doch sie lächelte und erschien mir zauberhaft süß und niedlich. Takuma, der noch immer meine Hand hielt, verneigte sich. "Geh doch schon einmal in das Atelier. Ich komme gleich.", er küsste mich vorsichtig. Sein Griff löste sich.

 

Ich lächelte kurz und verneigte mich vor der anmutigen Reinblüterin, um dann endlich in den Garten hinunterzusteigen und das Atelier anzusteuern. Sie war so schön, so schön, dass der Brand in meiner Seele zu entfachen drohte. Ich griff in meine Handtasche und nahm ein längliches Glas heraus, in das ich eine Bluttablette warf, die ich in frischem Quellwasser des Gartens löste. 

Ich setzte mich auf eine Bank und sah in die Sterne während ich mein Getränk langsam in mich hineinwürgte. Es schmeckte fad und doch brauchte ich es, um überleben zu können. 

 

Nachdem ich mein Glas geleert hatte, stand ich auf und spazierte weiter in Richtung des Ateliers. Die Luft wurde kühler und die Musik, die zuvor die ganze Welt zu erhellen schien, war nicht mehr zu hören. 

 

"Kyoko ...", hörte ich eine Stimme erschallen. "Kyoko ..."

Ich sah mich um, doch konnte ich niemanden sehen. "Wer ist da?", fragte ich naiv. 
Es war merkwürdig, denn die Stimme kam mir vertraut vor. Ob es Takuma war? Nein.

"Kyoko ...", erhallte die Stimme wieder in meinen Ohren und ich wurde unsicherer. Trotzdem versuchte ich mich auf die Stimme zu konzentrieren und lief in die Richtung, aus der ich sie zu hören glaubte. 

Wenige Minuten später stand ich vor dem Atelier. Es muss Takuma sein, redete ich mir ein. Ich wusste jedoch, dass er niemals ohne mich losgegangen wäre. Er hätte mich abgeholt oder zumindest angerufen.

 

Ich öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den mir Takuma zu unserem fünfjährigen Jahrestag schenkte. 

Zu Beginn des zweiten Trimesters musste ich wegen meinen Eltern an die Cross-Akademie wechseln. Ich war enttäuscht, denn die ganzen Freunde - es waren zwei -, die ich mir hart zusammengefunden hatte, musste ich damit aufgeben. Meine Eltern zwangen mich dazu, den Kontakt abzubrechen, da sie Menschen waren. Menschen und Vampire können nicht zusammenleben.

Ich wusste, ich musste nur zwei Jahre überleben und konnte dann meine Eltern verlassen. Dadurch wurde ich kalt und lies niemanden an mich heran, auch Takuma nicht, der sich die größten Mühe gegeben hatte, mich kennenzulernen. 

 

Damals - nach dem ersten Kunstunterricht - sprach er mich ein weiteres mal im Schulgarten an. Ich saß auf einer Bank und beobachtete die Vögel.

Er saß sich neben mich.

"Also, Da Vinci finde ich langweilig ... den hast du doch gezeichnet." - Ich ignorierte ihn. 

"Aber Picasso ist interessant ..." - "Picasso? Nein!", sagte ich schockiert und ertappte mich dabei, wie ich verbal zu kommunizieren anfing.

"Wer ist dein Lieblingskünstler?", fragte er interessiert und lächelte warm. - "Van Gogh ...", lächelte ich vorsichtig und sah ihm in die Augen. "Meiner auch."

 

An diesem Tag wusste er, wie er sich in mein Herz stehlen konnte. Die Kunst verband uns. 

 

Ich stand im Atelier und sah mich um. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen. 

Überall standen Leinwände, Farbdosen und Pinsel herum. Ich ging hinein und sah ein Porträt von mir, das Takuma einmal zeichnete.

Es war mein erstes Lächeln an dieser Schule, das er sofort einfangen musste

"Kyoko ...", hörte ich die suspekte Stimme erneut ertönen. 


Ich drehte meinen Kopf vorsichtig nach links und sah in einen Spiegel. Was ich in ihm sah, schmerzte fürchterlich.

 

© Silica